Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH: Datenschutz und Beweismittel im Zivilprozessrecht auf dem Prüfstand
In einem aktuellen Fall vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen steht die Frage der Zulässigkeit von Beweismitteln im Zentrum, die möglicherweise unter Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen erlangt wurden. Die klagende Arbeitgeberin verlangt von einer ehemaligen Arbeitnehmerin Schadenersatz in Höhe von rund 46.000 Euro. Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte unbefugt Gegenstände aus dem privaten Firmeneigentum über deren privates eBay-Konto veräußert und sich am Erlös bereichert habe. Diese Behauptungen stützt die Klägerin auf Informationen, die sie durch eine Einsichtnahme in das eBay-Konto der Beklagten gewonnen hat – eine Einsichtnahme, die ohne Wissen und Einwilligung der Beklagten erfolgte. Dabei ist auch strittig, wie die Klägerin an die Zugangsdaten des eBay-Kontos gelangte.
Um Klarheit über die datenschutzrechtlichen Aspekte dieser Einsichtnahme zu schaffen, hat das LAG Niedersachsen entschieden, ein sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzuleiten. Doch was bedeutet ein solches Vorabentscheidungsverfahren und welche Auswirkungen hat es auf den laufenden Prozess?
Was ist ein Vorabentscheidungsverfahren?
Ein Vorabentscheidungsverfahren ist ein besonderes Instrument des europäischen Rechts, das es nationalen Gerichten ermöglicht, den EuGH um Auslegungshilfe zu bitten, wenn es um die Anwendung von EU-Recht geht. Nationalgerichte können, und in bestimmten Fällen müssen, den EuGH anrufen, wenn sie bei der Anwendung von EU-Recht auf Probleme stoßen oder wenn unklar ist, wie eine europäische Vorschrift auszulegen ist. Dies dient der einheitlichen Anwendung des EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten.
In diesem Fall hat das LAG Niedersachsen den EuGH um Klärung gebeten, wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Kontext des Zivilprozessrechts anzuwenden ist. Konkret soll der EuGH entscheiden, ob die deutschen Zivilprozessvorschriften hinreichend bestimmt und detailliert genug sind, um den Anforderungen der DSGVO zu genügen, und welche spezifischen Bestimmungen der DSGVO auf die gerichtliche Verarbeitung von Daten anwendbar sind.
Auswirkungen des Vorabentscheidungsersuchens auf den anhängigen Prozess
Ein Vorabentscheidungsersuchen führt in der Regel dazu, dass der nationale Prozess ausgesetzt wird, bis der EuGH seine Entscheidung getroffen hat. Das bedeutet, dass das LAG Niedersachsen in der Hauptsache keine Entscheidung treffen wird, bevor der EuGH seine Antworten auf die gestellten Fragen geliefert hat. Diese Pause im Verfahren kann mehrere Monate oder sogar Jahre dauern, abhängig davon, wie schnell der EuGH das Vorabentscheidungsverfahren bearbeitet.
Die Entscheidung des EuGH ist für das LAG Niedersachsen bindend. Das bedeutet, dass das Landesarbeitsgericht seine spätere Entscheidung im laufenden Verfahren auf Basis der Auslegung des EuGH treffen muss. Diese Entscheidung wird nicht nur für den konkreten Fall wegweisend sein, sondern kann auch Auswirkungen auf viele ähnliche Fälle haben, insbesondere in Bezug auf die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Beweismitteln, die unter Umständen unter Verletzung von Datenschutzbestimmungen erlangt wurden.
Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH stellt sicher, dass komplexe Fragen des EU-Rechts, wie in diesem Fall die Vereinbarkeit nationaler Zivilprozessvorschriften mit der DSGVO, einheitlich und verbindlich geklärt werden. Für das laufende Verfahren vor dem LAG Niedersachsen bedeutet dies jedoch zunächst eine Unterbrechung, bis der EuGH seine Entscheidung trifft. Diese Entscheidung wird nicht nur für den konkreten Fall von großer Bedeutung sein, sondern könnte auch weitreichende Folgen für den Umgang mit datenschutzrechtlich sensiblen Beweismitteln in zivilrechtlichen Verfahren haben. Das Verfahren wird vom EuGH unter dem Aktenzeichen C‑484/24 geführt, und die Antwort des Gerichtshofs könnte künftig als Leitfaden für ähnliche Fälle dienen.